„Ich bedanke mich ganz, ganz herzlich für die wertvolle und detaillierte Arbeit“
Maria Consuelo González Toro: Was war die Motivation für die Teilnahme am Projekt Digital Active Women?
Alexandra von Bose: Wir haben in unserem Landkreis seit 7 Jahren die Integreat-App, um unsere Zielgruppe direkt zu erreichen. Sie läuft mittlerweile in neun Sprachen. Die Informationen waren alle da. So gut die App auch war, sie hat aber die Zielgruppen nicht wirklich erreicht. Das konnten wir sehen anhand der Statistiken: sie wurde nahezu nur von Deutschen genutzt, wie den Fachdiensten oder den Ehrenamtlichen. Nur stoßweise wurde sie von arabisch-, türkisch- und russischsprachigen Mitbürgern genutzt.
Ich hatte mir gewünscht, dass diese App auch für die Zielgruppe ist und dass damit ein direkter Kontakt mit der Zielgruppe möglich ist. Wir hatten dann im Landkreis eigentlich parallel zu ihrem Angebot entschieden, dass wir die App überarbeiten wollen. Ihr Projekt kam genau zur richtigen Zeit zu uns. Ich fand es wunderbar, wenn Sie nun nochmal auf unser Angebot schauen und gucken, was wir da so „Deutsch-falsch“ gemacht haben.
Wir konnten letztendlich mithilfe Ihres Gutachtens und in Kombination mit unserem Wirkungs-Workshop die App so überarbeiten, dass wir jetzt auch alle Zielgruppen gut erreichen. Also das konnten wir jetzt auch an den Statistiken sehen.
Was war das Interessanteste an den Evaluationsergebnissen?
Ich fand es sehr schön, dass sie es auch positiv bewertet haben. Es war mir wichtig zu wissen, das aus Ihrer Sicht unser Angebot sehr viel bietet. Ich fand den Zugang, den sie so geöffnet haben und dass sie dann auch im Detail gesagt haben also hier könnte man das vereinfachen, oder hier könnte man einfach mehr Punkte machen und die Inhalte aufteilen und das wäre dann lesbarer. Wir haben bei der App auch viel mit Vorlagen gearbeitet, die schon andere Landkreise genutzt haben. Und damit haben sich auch die Fehler selbst kopiert.
Ich habe gar nicht erwartet, dass es so detailliert ist, was Sie als Gutachterinnen dann auch zurückgegeben haben. Ich fand es ging sehr in die Tiefe und ich bedanke mich ganz, ganz herzlich für die wertvolle und detaillierte Arbeit.
Mir fehlt leider in der täglichen Arbeit der direkte Bezug oder der direkte Kontakt zu meiner Zielgruppe. Aber wenn Sie mit Ihrem wissenschaftlichen Hintergrund kommen und mit Ihrem Verständnis für die Communities, also das originale Verständnis nicht das angelesene, dann ist das für mich ein sehr großer Mehrwert, den ich gerne einfach fest in der Arbeit weiter berücksichtigen oder weiter vorantreiben möchte.
Welche Erfahrungen haben sie gemacht, als Sie die Ergebnisse direkt von den Co-Forscherinnen erhalten haben?
Für mich war ein Aha-Erlebnis, dass wir die Inhalte nochmal aufbrechen müssen. Für uns, die wir in dem Verwaltungsapparat drinstecken, ist ja der ganze Ablauf völlig klar. Da leiden wir an Betriebsblindheit. Wir haben gedacht die Informationen reichen, die Menschen, die haben ja Deutsch gelernt bzw. können die Übersetzungen nutzen. Dass der Mensch, der die App nutzt, aber gar nicht weiß, warum er das Sozialamt finden soll oder eine bestimmte Telefonnummer anrufen soll, das haben wir übersehen.
Als Zweites war auch noch ganz wichtig, dass Sie sich auch die Übersetzungen angeguckt haben und gefunden haben, dass manche Übersetzungen unvollständig waren. Das können wir gar nicht so überprüfen und war deshalb wie ein goldener Lottogewinn!
Welchen Beitrag leistet Digital Active Women zur Verbesserung der Dienstleistungen Ihrer Organisation?
Wir haben die Charta der Vielfalt unterzeichnet im Jahr 2016 und wir haben uns eigentlich als Verwaltung und als Landkreis dazu verpflichtet insbesondere die interkulturelle Diversität auch umzusetzen. Nach meiner Erfahrung passiert hier bisher kaum etwas.
Wir habe einen unglaublich kleinen Anteil an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit einem Migrationshintergrund. Ich persönlich halte es für wichtig an Schaltstellen zumindest auch Menschen zu haben, die auch die interkulturelle Kommunikation beherrschen. Gerade in den Bereichen, wo es um Publikumsverkehr geht: im Sozialamt, Jugendamt, Gesundheitsamt, in der Ausländerbehörde usw. sollte ja dieser Transfer geleistet werden, der Wissenstransfer und Informationstransfer. Da ist mir bisher zu wenig passiert!
Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn das Projekt weitergeht, Sie als Expertinnen vielleicht auch in die Verwaltung reinkommen. Dort könnten Sie aus Ihrer Sicht darstellen, welche Vorteile es hat, wenn man sich mehr öffnet und wie das konkret aussehen müsste.
Ich würde mir wünschen, dass man da in der Personalauswahl weggeht aus dem alten deutschen System und hin zu anderen Kompetenzen, die in der jetzigen Zeit viel mehr gebraucht werden.
„Dieses bürokratische Deutsch ist in den letzten Jahren immer ausführlicher und unverständlicher geworden“
Gibt es auch ganz konkret andere Bereiche, für die Sie das Wissen weiter nutzen können?
Jetzt gibt es noch einen anderen Bedarf: von Fachdiensten sowie von Ehrenamtlichen wurde immer wieder geschildert, dass dieses bürokratische Deutsch, was sich in unendlich vielen Anträgen wiederfindet, von der Wohngeldstelle bis zur Schulbuchausleihe, dass diese Sprache in den letzten Jahren immer ausführlicher und unverständlicher geworden ist. In einem Kooperationsprojekt mit der Universität Mainz haben Masterstudenten zu jedem Antrag Erklärtexte entwickelt, die auch gut übersetzt werden können. Oft konnten die Ratsuchenden nicht verstehen, was sie unterschreiben. Wenn die Unterschrift geleistet ist, ist die Unterschrift geleistet und wenn ich etwas unterschreibe, was ich nicht verstehe, dann hat das nicht nur ein Geschmäckle, ich finde, das hat rechtliche Konsequenzen. Jetzt ist es so, dass die Erklärtexte schön für die deutschen Ehrenamtlichen und für die Fachdienste sind. Allerdings sind sie wieder nicht der ideale Transfer für die Zielgruppe…
In einem neuen Projekt im Landkreis Alzey-Worms werden deshalb nun Ehrenamtliche aus verschiedenen Migrantengruppen gesucht, die eine Schulungen bekommen als, sagen wir mal Integrationsbegleiter. Sie sollen nicht nur übersetzen, sondern sich auch im Ablauf der Verwaltung gut auskennen und wissen, was ein Jobcenter ist und warum jemand vom Sozialamt zum Jobcenter geschickt wird usw. Um diese Personen zu finden und damit uns die Ansprache gut gelingt, könnte ich mir auch vorstellen Sie wieder mit ins Boot zu holen…
Alexandra von Bose
Maria Consuelo Gonzáles Toro
Zur gesamten Publikation:
11/2023
Digital Active Women
Digitale Informations- und Beratungsangebote bedarfsgerecht (weiter)entwickeln