Stefan Klingbeil vom Flüchtlingsrat Niedersachsen

im Gespräch mit Maria Consuelo Gonzáles Toro

„Wir haben von keiner anderen Seite so eine gute Expertise bekommen“

Maria Consuelo González Toro: Was war die Motivation für die Teilnahme am Projekt Digital Active Women? 

Stefan Klingbeil: Wir setzten uns nach dem Anschlag auf George Floyd vermehrt mit institutionellem Rassismus auseinander und wollen auch die eigenen Organisationen kritisch anschauen. So sind wir auch auf unseren Webauftritt und die digitalen Angebote gekommen und fragen uns, ob und wie sie die Zielgruppe überhaupt erreichen.

Was war das Interessanteste an den Evaluationsergebnissen? 

Also am interessantesten fand ich tatsächlich zwei Dinge: zum einen die fehlende Übersetzung unserer Wissensbestände bzw.  die Bereitstellung unserer Inhalte in einfache Sprache. Für uns stellt sich nun die Frage: wie können wir eine Zielgruppe erreichen, die das bürokratische Deutsch nicht so gewohnt ist und davon auch eher abgeschreckt und ausgeschlossen wird? Und zum anderen welche digitalen Formate sollten wir insgesamt wählen, um das Wissen zur Zielgruppe zu bringen? Bisher richteten wir uns eher an deutsche Unterstützer*innen. Jetzt wollen wir versuchen die Menschen mit Fluchterfahrung im Ankommensprozess direkt zu erreichen.

Welche Erfahrungen haben sie gemacht, als Sie die Ergebnisse direkt von den Co-Forscherinnen erhalten haben?

Wir haben von keiner anderen Seite so eine gute Expertise bekommen, was das Feedback betrifft und auch keine so kompetente Auseinandersetzung mit unserem Angebot. Das war schon einfach toll von Menschen so ein Feedback zu bekommen, die genau diese Brillen aufhaben. Indem sie aus ihrer Perspektive sprachen, konnten sie sehr konstruktive Vorschläge machen, was geändert werden kann, was verbessert werden sollte. Das war ein ganz hervorragender Beitrag, den ich nicht missen möchte.

Welchen Beitrag leistet Digital Active Women zur Verbesserung der Dienstleistungen Ihrer Organisation? 

Das war ein ganz großartiger Impuls. Ich würde sagen es war das richtige Angebot zur richtigen Zeit. Ich hoffe, dass wir jetzt im Nachgang auch in der Umsetzung noch beieinander bleiben, weil wir jetzt erst in die Lösung eintauchen: wie können wir unsere Seite verbessern? Und da hoffen wir auch auf eure Begleitung!

„Die Übersetzung unserer Inhalte in einfache Sprache ist ein großer Arbeitsaufwand“

Was sind Herausforderungen bzgl. Verständlichkeit der Inhalte für Neuzugewanderte?

Die Übersetzung unserer Inhalte in einfache Sprache ist ein großer Arbeitsaufwand. Die Seite ist zu großen Teilen in einem tiefen bürokratischen Deutsch. Es gibt darin viel Fachwissen und juristische Inhalte. Es ist zunächst eine große Herausforderung zu identifizieren, welche Inhalte, und wir sind ja hier im Grenzbereich zum Paternalismus, sind in einfacher Sprache überhaupt abbildbar und wo erfährt das auch seine Grenzen? Wir sind im juristischen Raum und müssen Fachtermini verwenden. Das heißt, da muss man genauer differenzieren: welche Texte sind essentiell für die Zielgruppe und müssen in deren Muttersprachen oder in einfacher Sprache vorzufinden sein und bei welchen muss man dann sagen: „Ok, das ist jetzt auch ein zweiter Schritt. Da vertiefend reinzugehen, braucht eine anwaltliche Begleitung oder eine beratende Begleitung.“ Allein dieser Prozess des Filterns ist ganz viel Arbeit. Leider hat für diese Arbeit bisher niemand Platz auf seinem Schreibtisch. Da müsste mehr Personal bezahlt werden, das bis jetzt nicht in unseren Projektgeldern eingeplant ist. Also gucken wir, wie wir das in den Projekten unterkriegen und fragen uns: Welche Mittel wollen wir dafür bereitstellen? Und wo kriegen wir die her?

Stefan Klingbeil

Maria Consuelo Gonzáles Toro

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