“It might seem somewhat irrelevant to debate history during an extreme crisis, while the Russian military is bombing Ukrainian cities. But narratives matter. Putin understands this, and we should too.” Francine Hirsch (2022): Putin’s Memory Laws Set the Stage for His War in Ukraine.
Die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg hat in Russland systemstabilisierende und identitätsstiftende Funktionen. Über Jahrzehnte standen der militärische Ruhm und die Größe und Stärke der eigenen Nation im Mittelpunkt der Erinnerungskultur.
In den letzten Jahren lässt sich eine neue Erzählung festmachen, die eine Abkehr von der Siegerrhetorik bedeutet. Im Fokus steht jetzt das Leid der sowjetischen Zivilbevölkerung, das als Genozid bezeichnet wird – die Shoah spielt in diesem Erinnern eine untergeordnete Rolle. Die neue geschichtspolitische Rhetorik des Kremls wird in einer Art Täter-Opfer-Umkehr als Propagandamittel zur Legitimation des Krieges gegen die Ukraine eigesetzt: Russland müsse sich angeblich abermals gegen einen drohenden Genozid verteidigen. Dabei kommen auch antisemitische Narrative wie die Relativierung der Shoah zur Geltung.
Einschlägige Bilder und Darstellungen bestimmen russische Medien und Soziale Netzwerke, wie beispielweise, dass die Ukraine von Nazis regiert werde, gegen die Russland sich zur Wehr setze. Sie wirken auch nach Deutschland hinein und stiften zu Hassverbrechen an. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen für die antisemitismuskritische politische Bildung und die Frage, wie wir diesen Propagandaerzählungen begegnen und sie dekonstruieren können.
Wir werfen einen genaueren Blick auf die russische Erinnerungskultur und ihre Bedeutung für den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine, analysieren die Rhetorik des Kremls und deren Rezeption in den deutschen Medien. Gemeinsam wagen wir einen Ausblick auf die Zukunft antisemitismuskritischer Bildungsarbeit.