Ungleiche Bezahlung in Engpassberufen
Die unsichtbaren Grenzen von Herkunft und Geschlecht
Bianca Dülken, Samrawit Shibeshi, Januar 2024
Bianca Dülken, Samrawit Shibeshi, Januar 2024
Amina Haddad, eine studierte Elektroingenieurin aus Syrien, fand in Deutschland eine Anstellung in der Kältetechnik, ein Beruf, der derzeit zu den Top–10 der Engpassberufe auf Fachkräfteebene zählt. In dem Unternehmen, in dem sie arbeitete, gab es keine Lohntransparenz und so erfuhr Frau Haddad erst im Job, dass sie weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen mit deutscher Staatsangehörigkeit bekam. Daraufhin entschloss sie sich bereits nach einem Jahr zu kündigen. Es gelang ihr, eine neue Anstellung als Elektro–Ingenieurin bei einem Arbeitgeber zu finden, der alle Angestellten, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, fair bezahlt. Dieses Beispiel illustriert eine der großen Herausforderungen, mit denen Beschäftigte ohne deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Herkunft und ihres Geschlechts konfrontiert sind. Wollen Betriebe ausländische Fachkräfte anwerben und langfristig halten, sind gute Arbeitsbedingungen unabdingbar – insbesondere in Berufsfeldern, in denen akuter Fachkräftemangel herrscht. Eine faire Entlohnung gehört als zentraler Faktor dazu. (IQ Netzwerk Hamburg, 2023)*
* Dieses Fallbeispiel stammt aus dem IQ Projekt Vielfalt in der Arbeitswelt (VidA) und wurde in einer Präsentation des Förderprogramms IQ – Integration durch Qualifizierung im Rahmen des „Fachdialogs zum Migrant-Gender-Pay-Gap“ 2023 vorgestellt (IQ 2023). Aus Gründen des Datenschutzes wurden personenbezogene Informationen in diesem Fallbeispiel geändert.
Ausgehend von diesem Fallbeispiel untersucht die IQ Fachstelle Einwanderung und Integration in der vorliegenden Analyse zunächst die Präsenz sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Engpassberufen. Darauf aufbauend werden Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen und Personen mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit untersucht. Die Analyse knüpft an die im Juni 2022 von der IQ Fachstelle Einwanderung veröffentlichte erste Analyse der Serie “Der Migrant–Gender–Pay–Gap” an, indem sie einzelne Berufe vertieft fokussiert. Sie basiert auf der Auswertung der Daten einer Sonderabfrage der Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Zeitraum von 2016–2021.
Ziel dieser Studie ist es, die Beschäftigungssituation in Engpassberufen anhand von Staatsangehörigkeit, Alter, Geschlecht und Entgelt zu beleuchten. Die zentrale These der Studie ist, dass Beschäftigte ohne deutsche Staatsangehörigkeit, insbesondere Frauen, für die gleiche Tätigkeit und bei gleicher Eignung weniger als Beschäftigte mit deutscher Staatsangehörigkeit verdienen. Das ist selbst dann der Fall, wenn eine formale Gleichwertigkeit des ausländischen Berufsabschlusses vorliegt. In dieser Studie werden daher die folgenden Fragen beleuchtet:
Die Datengrundlage dieser Studie bildet eine Erhebung aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland, welche von der BA bereitgestellt wurde.
Laut der BA (2011: 27-28) werden Tätigkeiten den folgenden vier Anforderungsniveaus zugeordnet:
Anforderungsniveau 1: Helfer– und Anlerntätigkeiten
Anforderungsniveau 2: Fachkräfte, fachlich ausgerichtete Tätigkeiten
Anforderungsniveau 3: Spezialist*innen, komplexe Tätigkeiten
Anforderungsniveau 4: Expert*innen, hoch komplexe Tätigkeiten
Folglich wird in dieser Analyse der Begriff „Fachkräfte“ laut der BA–Definition verwendet und umfasst somit Personen, die eine mindestens zweijährige Berufsausbildung haben (BA 2011: 27).
Engpassberufe sind Berufskategorien, in denen ein Mangel an qualifizierten Fachkräften ausgewiesen wird, der durch eine kurzfristige Nachfrageübersteigung entsteht. Ein dauerhafter Mangel liegt vor, wenn Engpässe regelmäßig auftreten.
Die BA bewertet die Fachkräftesituation bundesweit jährlich anhand von sechs statistischen Indikatoren (u. a. die Besetzungsdauer gemeldeter Stellen, die berufsspezifische Arbeitslosenquote und die Entgeltentwicklung). Ein Punktewert von ≥ 2,0 kennzeichnet einen Engpassberuf, während ein Wert von < 1,5 darauf hinweist, dass kein Engpass vorliegt.
Aufgrund der teils sehr geringen Fallzahlen in den einzelnen der hier betrachteten Engpassberufen, werden bei der folgenden Auswertung der Beschäftigtenstatistiken die Engpassberufe in verschiedene Berufsgruppen gruppiert (entsprechend der BA-Klassifizierung der Berufe (KldB) (BA 2011: 66ff.). Bei der darauffolgenden Auswertung der Entgeltstatistiken werden die Engpassberufe hingegen nicht gruppiert, sondern weiterhin einzelnen analysiert, da es methodisch nicht sinnvoll ist, die Entgelte verschiedener Berufe in Berufsgruppen zusammenzufassen.
Tabelle 1: Klassifizierung der Berufe gemäß der BA
(Eigene Darstellung nach BA 2011: 66ff.). © Minor
Berufsgruppen | Top–10 Engpassberufe auf Fachkräfte–Anforderungsniveau |
Tiefbau |
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Energietechnik |
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Gesundheits– und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe |
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Nicht ärztliche Therapie und Heilkunde |
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Klempnerei, Sanitär–, Heizungs– und Klimatechnik |
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Ver– und Entsorgung |
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Die Beschäftigteninformationen werden für unterschiedliche Staatsangehörigkeiten ausgewiesen:
Die Entgeltinformationen werden für unterschiedliche Staatsangehörigkeiten ausgewiesen:
In den Beschäftigtenstatistiken werden die Fallzahlen der Staatsangehörigen der Asylherkunftsländer und der Drittstaaten separat angegeben. Hingegen umfasst die Entgeltstatistik der BA das Medianentgelt sowohl für Drittstaatsangehörige als auch für Staatsangehörige der Asylherkunftsländer.
Diese Analysen basieren auf einer Sonderauswertung der Beschäftigten- und Entgeltstatistik durch den Statistikservice der BA.
1. Beschäftigtenstatistik
Welche Daten werden für diese Analyse genutzt? Diese Analyse basiert auf der Beschäftigtenstatistik aller sozialversicherten Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten für den Zeitraum von 2016 – 2021.
Woher stammen die Informationen? Die Beschäftigtenstatistik stammt aus den jährlichen Arbeitgebermeldungen zur Sozialversicherung und ist somit eine Vollerhebung der Beschäftigten in Deutschland. Beschäftigt ein Arbeitgeber eine Person auf dem Anforderungsniveau Fachkraft, findet die Beschäftigung als Fachkraft Eingang in die Statistik.
Gibt es eine Mindestfallzahl? Die Daten werden nur angezeigt, wenn in einer bestimmten Gruppe mehr als 500 Fälle von Beschäftigten vorliegen.
2. Entgeltstatistik
Welche Daten werden für diese Analyse genutzt? Die Entgeltstatistik enthält die Bruttomonatsentgelte, inklusive Sonderzahlungen, von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Vollzeit arbeiten. Da alle Entgelte in die Statistik einfließen, unabhängig davon, wie viele Tage oder Monate die Person gearbeitet hat, wird für jede Person das durchschnittliche monatliche Entgelt berechnet. Der Statistikservice veröffentlicht allerdings nicht die individuellen Bruttomonatsentgelte, sondern berechnet das Medianentgelt der Gruppen, die beim Statistikservice angefragt werden.
Was ist das Medianeinkommen? Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte der Einkommensverteilung liegt und somit gegenüber sehr niedrigen oder sehr hohen Einkommen robust ist. Aufgrund dieser Eigenschaft betrachten Entgeltstatistiken betrachten üblicherweise den Median und nicht das arithmetische Mittel, welches nicht gegenüber Ausreißern robust ist.
Was ist die Schwelle des unteren Entgeltbereichs? Beschäftigte im unteren Entgeltbereich verdienen weniger als 2/3 des Medianentgelts aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten.
Welche Personengruppen sind nicht Teil der Entgeltstatistik? Die Entgeltstatistik enthält keine Entgeltinformationen von Vollzeitbeschäftigten, für die eine besondere Vergütungsregelung zur Ausbildung, Jugendhilfe, Berufsförderung, Tätigkeit in Behindertenwerkstätten oder zu Freiwilligendiensten gilt.
Woher stammen die Informationen? Die Entgeltinformationen stammen aus den jährlichen Arbeitgebermeldungen zur Sozialversicherung und erfassen alle Beschäftigten in Deutschland bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Im Jahr 2021 lag diese Grenze in Westdeutschland bei 7.100 € (Brutto) und in Ostdeutschland bei 6.700 € (Brutto), während die Schwelle des unteren Entgeltbereichs bei 2.417 € in Westdeutschland und 2.004 € in Ostdeutschland (Brutto) lag.
Gibt es eine Mindestfallzahl? Die BA veröffentlicht keine Daten zu Entgeltverteilungen, Medianentgelten oder Beschäftigten im unteren Entgeltbereich in Unterkategorien mit weniger als 500 Beschäftigten aufgrund eingeschränkter Aussagekraft.
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Bezugsmöglichkeiten:
Weitere Informationen:
45 Seiten
Diese Publikation wurde von der Fachstelle Einwanderung und Integration veröffentlicht.
Die Fachstelle Einwanderung und Integration wird im Rahmen des Förderprogramms IQ – Integration durch Qualifizierung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge administriert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Bundesagentur für Arbeit.